Raum und Zeit. Wie aus Altem Neues entsteht.

Lesungen in der Produktionshalle, Performances im Konferenzraum, Tanzen in der Brauerei. Die Umnutzung von Gebäuden als Kunst- und Veranstaltungsorte ist seit einiger Zeit fester Teil der Kulturpraxis. Die Relevanz dieser Projekte bleibt ungebrochen: vor allem für die freie Szene bieten sich wichtige Freiräume. Aber nicht nur als verfügbarer, gestaltbarer Raum für nicht-institutionelle Arbeit kommt der Umnutzung historischen Baubestands eine wichtige Bedeutung zu. Zwar birgt diese Art der Raumnutzung immer die Gefahr, die Geschichte eines Ortes zu überschreiben. Also die Geschehnisse und Politiken, mit dem er verwoben ist, zu übertünchen und verschwinden zu lassen. Gleichermaßen ließe sich auch der Erhalt von Architekturen, die eng mit schreckensbehafteten Ereignissen (Kolonialismus, Faschismus, um nur die zwei augenscheinlichsten Beispiele zu nennen) verknüpft sind, kritisieren. Deutlich wird bereits hier, dass es also immer ein enormes Politikum ist, welche Architekturen erhalten werden und welche Gebäude auf welche Art und Weise (um)genutzt werden.

Gerade in Berlin ist diese städtebauliche Dimension immer wieder präsent, beispielsweise wenn es um Erhalt und Abriss von Bauten aus der DDR-Zeit geht. Spätestens die Wiedererrichtung des Stadtschlosses auf dem Grund des abgerissenen Palasts der Republik – und die damit einhergehenden Diskussionen – haben die politische Bedeutung städtischer Architekturen und ihrer Nutzung eingehend vor Augen geführt. Gerade diese Brisanz führt jedoch auch das Potential, dass dem Erhalt und der Umnutzung innewohnt, vor Augen – die Dimension der Ermächtigung durch Mitgestaltung und des Umschreibens. Auf der einen Seite biete jede Umnutzung eines historischen Gebäudes immer das große Potential einer kritischen Beleuchtung seiner Kontexte. Wer hat es gebaut, und warum? Warum wurde es so gebaut, wie es gebaut wurde? Welchen Nutzen diente seine spezifische Struktur? Welchen Zweck erfüllte es in der damaligen Gesellschaft? Auf der anderen Seite besteht die Möglichkeit der Aneignung. Die kulturelle Neunutzung als Überschreibungen des Alten vermag es, einen Modus des Entgegensetzens zu erzeugen und einen Diskurs zu eröffnen beziehungsweise sichtbar zu machen. Auf diese Weise ergibt sich eine ganz eigene, gesellschaftliche Bedeutungsebene, die hinzugefügt wird – sowohl dem Gebäude selbst, als auch der Kunst, für das seine Räume nun genutzt werden. Denn egal aus welcher Zeit und welchem Kontext die Gebäude stammen, ihre kulturpraktische Neunutzung birgt immer die Möglichkeit, die Veränderbarkeit scheinbar unveränderlicher gesellschaftlicher (Macht)Strukturen und Paradigmen vor Augen zu führen.

Unter Berücksichtigung des Vergangenen und des Gegenwärtigen, können Veränderungen thematisiert und ihre Hintergründe beleuchtet werden. Wird die ehemalige Produktionshalle zur Ausstellungsfläche, spiegelt sich darin ein Ende des Industriezeitalters – und damit die Verlagerung entsprechender Herstellungsprozesse in andere Teile der Welt, eng verwoben mit neokolonialen Dynamiken und Abhängigkeiten. Wird die Münzprägeanstalt, die die längste Zeit ihres Bestehens dem Herstellen der Mark der DDR diente, nun als multidisziplinäres Kulturquartier „Alte Münze“ genutzt, verhält es sich ähnlich. Diese Kontexte werden durch Erhalt dieser Architekturen sichtbar gemacht. Eine Vergemeinschaftung eben dieser Räume, wie sie durch die Nutzung und zur Verfügung Stellung für Kulturprojekte zustande kommt, bietet letztendlich die Möglichkeit, sie öffentlich sichtbar und diskutierbar zu erhalten, während sie gleichzeitig dem dominanten Narrativ etwas entgegenzusetzen vermag. Gerade in der Stadt Berlin ist diese Praxis tief verwurzelt. Als eine Stadt, die räumlich aufgeteilt und bestimmten Werteordnungen und politischen Systemen zugeteilt worden ist, erscheint die Frage danach, wem die Stadt gehört, hier umso präsenter, umso essentieller. Denn nach dem Fall der Berliner Mauer kam es an vielen Stellen zu einem Zurückholen der Stadt durch ihre Bewohner* innen, sei es nun durch eine Vielzahl an Hausbesetzungen, Kultur- und Wohnprojekten, oder aber durch die Eröffnung von Clubs an verlassenen Orten – zur Vergemeinschaftung öffentlicher und/oder ungenutzter Räume also.

Dort, wo jahrzehntelang aktiv eine räumliche wie ideelle Trennung teils gewaltvoll praktiziert wurde, wurden nun gemeinschaftliche Projekte ins Leben gerufen und konnte nun gemeinsam ausgelassen gefeiert werden. Diese Idee und Art der Freiräume, sind ein wichtiger Teil dessen, was Berlin lange ausgemacht hat und auch heute noch für Kunst- und Kulturschaffende zu einem wichtigen, reizvollen Ort machen. Nachteil dieser umgenutzten Standorte kann mitunter natürlich sein, dass sie in ihren räumlichen Strukturen zumeist keine idealen Produktionsbedingungen bieten. Das bedeutet jedoch auch, dass allzu gängige Abläufe und Raumkonzepte immer wieder neu gedacht werden müssen und letztlich ein Aufbrechen allzu einstudierter, „klassischer“ Konzepte von Kulturveranstaltungen von diesen Orten ausgeht, die es stetig braucht. Gleichzeitig sind diese Räume der freien Kulturszene seit jeher auch einem Kampf um den Erhalt ausgesetzt. Kommerzialisierung von Projekten stehen genauso stetig an der Tagesordnung, wie Verdrängung durch Immobilienkonzerne, Autobahnprojekte, politische Hürden und Finanzierungsprobleme. Und eine weitere Dimension ist natürlich die Nachhaltigkeit der Weiternutzung gegebener Architekturen, deren Erhalt und Umbau zumeist sehr viel weniger Ressourcen benötigen, als all die Neubauten, die hochgezogen werden. Dies würde jedoch neue Dimensionen öffnen, die im Rahmen dieses Textes nicht aufgemacht werden können.

Autorinneninformation: Henrieke Homburg studierte Theater-, Film- und Literaturwissenschaft in Bremen und hat ihren Lebens- sowie Schaffensmittelpunkt nach Berlin verlegt. Aktuell ist sie am Haus der Kulturen der Welt als Volontärin im Bereich Literatur- und Oralturpraktiken tätig. Sie interessiert sich für transmediale Praktiken, Dekonstruktionen von Sprache und Zugänglichkeiten von Kulturarbeit.

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